FOMO – Ein Social Media-Phänomen

„Erinnerung: Du hast diese Woche x bevorstehende Veranstaltungen mit …“ Dort muss man natürlich hin. Auf beide Veranstaltungen versteht sich, denn man könnte ja was verpassen und in dem Freundeskreis, den man dort antreffen könnte, gehört man sonst womöglich bald nicht mehr dazu. Dazugehören und das ultimative Maximum aus seiner Lebenszeit rauspressen klingt wie der Superlativ von Carpe Diem. Auf die Spitze treiben es dabei diejenigen, die von der „FOMO“ befallen sind: the fear of missing out.

Was ist FOMO und woher kommt es überhaupt?

Grundsätzlich bedeutet FOMO ja nichts anderes als Angst zu haben, etwas zu verpassen. Der Mensch ist prinzipiell ein soziales Wesen und bewegt sich in verschiedenen sozialen Gruppen. Die Familie, die Schulfreunde, die Arbeitskollegen, die Sportmannschaft – man will in vielen Gemeinschaften anerkannt sein und dafür muss man sich eben Zeit und Energie nehmen. Tut man das nicht, verpasst man das, was die anderen gerade unternehmen und bleibt auf der Strecke.

Dieses Gefühl gab es also schon immer. Doch an dieser Stelle melden sich Social Media-Netzwerke zu Wort. Während man im Prä-Facebook-und-Co.-Zeitalter nämlich noch persönlich und aktiv Treffen organisieren und in Erfahrung bringen musste, werden sie einem jetzt über den Newsfeed aufs Auge gedrückt. Zudem gehört man heute zu noch mehr sozialen Gruppen, die alle noch mehr unternehmen. Doch da unsere Tage inzwischen nicht länger geworden sind, tun wir uns schwer, dieses Mehr an Events in den Terminkalender zu pressen.

Dem gesellt sich unsere psychische Verfassung hinzu. Denn am Beginn der FOMO steht Unzufriedenheit. Wenn man mit dem, was man ist und was man gerade tut, nicht glücklich ist, erscheinen einem alle Orte, an denen man gerade nicht ist, erstrebenswerter. Man würde die eigene, aktuelle Realität am liebsten zur Second Hand-Ware machen und woanders sein.

Da Vierteilen aber schon lange aus der Mode ist, kann man nicht ständig auch woanders sein und ein Gefühl des Gehetztseins stellt sich ein; zumal auch die Timelines der anderen uns permanent suggerieren, dass sie doch so viel mehr machen – welches auch noch scheinbar so viel mehr Wert hat als die eigenen Umtriebigkeiten. Dieses ständige Zwischen-den-Stühlen mindert den Wert des Hier und Jetzt.

FOMO ist keine anerkannte Krankheit und dennoch präsent

Fear of missing out klingt erstmal wie ein flüchtiger Trend oder ein lässiger Spruch aus der Jugendsprache. Als medizinisch anerkannte Krankheit gilt es allenfalls noch nicht, obwohl einige der Symptome doch fast schon pathologische Züge annehmen:

  • Traurigkeit, wenn FreundInnen über ein Ereignis erzählen, bei dem man nicht dabei gewesen ist.
  • Angst, dass Erfahrungen von FreundInnen besser als die eigenen sind.
  • Unruhe und Nervosität, wenn man nicht weiß, was FreundInnen aktuell unternehmen.
  • Drang, es sofort auf Social Media-Plattformen zu teilen, wenn man etwas unternimmt.
  • Häufiges und routiniertes Aufhalten in sozialen Netzwerken, auch während des Essens oder in Gesellschaft.
  • Konzentrationsprobleme beim Lernen und/oder Arbeiten, weil der Kopf sozusagen noch online ist.
  • Bedürfnis während Tätigkeiten, die besondere Konzentration erfordern, online zu sein (beispielsweise beim Autofahren).

Das können Sie dagegen tun

Wie so oft gilt auch bei der Fear of missing out: „Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.“ Ohne zu erkennen, dass die Art und Weise, wie jemand Social Media nutzt, hochgradig ungesund ist, wird sich nichts ändern lassen. Der Wille zur Veränderung steht jeder Veränderung an sich voran.

Der nächste Schritt ist die Reflexion des eigenen Verhaltens. Wo beeinträchtigt mich Social Media? Was nimmt es mir weg? Waren das, was ich heute auf meinen Newsfeed erfahren habe, wichtige Informationen oder sinnlose Ablenkung? Ist das beantwortet, kann überlegt werden, wie man Facebook und Co. effizienter nutzen kann. Benachrichtigungen ausschalten, Kommunikationsprozesse auf andere Kanäle verlegen (zum Beispiel Telefon), sich selbst Social Media-Öffnungszeiten geben, während derer kurz und knackig die für einen selbst wichtigsten Funktionen genutzt werden und sich dann wieder in die Realität verabschiedet wird.

Dazu braucht es Erkenntnis und Selbstbeherrschung. Diese zwei Faktoren können unterstützt werden, und zwar durch Aufmerksamkeit und Dankbarkeit. Machen Sie sich bewusst, wo Sie sind, was Sie tun und was das für einen Wert hat. Seien Sie außerdem dankbar für das, was Sie haben und tun. Die Vorstellung des ‚Missen-Müssens‘ bewirkt, dass einem der jeweilige Wert für das eigene Leben bewusst wird.

Vermeintlich unverzichtbare Dinge, die wir vielleicht gerade verpassen, scheinen plötzlich nicht mehr so wichtig.

Gegenbewegung: JOMO

Ähnlich wie bei fast food oder fast fashion hat sich auch bei der FOMO ein Gegenpart entwickelt. Die Freude des Verpassens: joy of missing out. Wenn Sie heute für eine Woche auf eine Berghütte in den Alpen fahren, ohne W-Lan und Netzverbindung, nur drei Freunde, Wanderschuhe und ein Schlafsack, nun ja, damit ist JOMO eigentlich fast schon erklärt.

Sich mit dem zu verbinden, was ist, und nicht mit dem, was uns vorgegaukelt wird, sich buchstäblich freuen, das alles zu verpassen und nicht jedem Trend hinterherlaufen zu müssen. Die Informationsflut, die uns potenziell im Netz überrollen kann, ist ohnehin zu enorm um sie kognitiv verarbeiten zu können. Aktiv ausgesuchte Wissens-, Themen-, Interessensgebiete und die Konzentration auf einige wenige Bereiche davon bleiben wenigstens hinterher auch im Gedächtnis haften und überlasten den Geist nicht.

Fazit

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Keyvan Haghighat Mehr kennt sich nicht nur mit FOMO – the fear of missing out – aus, sondern zeigt auch Auswege aus dem fast schon pathologischen Phänomen auf. (© Keyvan Haghighat Mehr | media by nature)

In einer Welt, in der alles möglich erscheint, sind wir gedrängt dazu, auch alles zu tun. Doch selbst wenn plötzlich alle Möglichkeiten freistehen: Es wurde uns inzwischen nicht mehr Zeit geschenkt um auch alle diese Möglichkeiten theoretisch und praktisch wahrnehmen zu können.

Verabschieden Sie sich von der Idee, ALLES tun zu können, wonach Ihnen beliebt. Denn mit der Bereitschaft, einer Sache zuzusagen, geht immer das natürliche Gesetz einher, dass man automatisch einigen anderen Sachen absagen muss.

Über den Autor

Keyvan Haghighat Mehr ist der Geschäftsführer der Social Media Agentur media by nature mit Sitz in Hamburg. Für ihn ist der Begriff „FOMO“ längst kein Fremdwort mehr und er kann durch seine tägliche Arbeit – vermutlich besser als die meisten – verstehen und nachvollziehen, wie es das „moderne Krankheitsphänomen“ in so viele Köpfe geschafft hat und warum es aktuell so präsent ist.

HCC Redaktion

... schreibt über alle möglichen Themen rund um Mitarbeitergesundheit und Personal. Wichtige Schwerpunkte liegen auf der Arbeitsplatzgestaltung, Psyche, Ernährung, Bewegung und weiteren Einflussfaktoren nachhaltiger Gesundheitsprävention. Neben Fachartikeln und Tipps & Tricks-Beiträgen werden Interviews mit einschlägigen Persönlichkeiten zu BGM, BGF und mehr veröffentlicht.

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