Man würde annehmen, dass das genug ist, um mit ziemlicher Sicherheit Aussagen über die tatsächliche Struktur des Proteins in der Natur machen zu können. Das dem nicht so ist und dass der Durchschnitt einen manchmal täuschen kann, erklärt der Leiter der Studie, Bojan Zagrovic: „Würde man zum Beispiel den durchschnittlichen Aufenthaltsort eines Torhüters während eine Fußballspiels bestimmen, bei dem nach der Halbzeit die Teams die Seiten wechseln, würde dieser ziemlich genau in der Mitte des Feldes liegen. Ich denke, wir alle sind uns einig, dass das weit von der Realität entfernt ist.“
Die Atome von Proteinen wackeln bis zu sechsmal stärker als bisher angenommen
Wie genau können also die derzeit verwendeten Programme zur Analyse von röntgenkristallographischen Daten die Struktur und Dynamik eines Proteins bestimmen? Dieser Frage ging Antonija Kuzmanic, im Rahmen ihrer Doktorarbeit im Labor von Zagrovic und unterstützt durch dessen Starting Grant des Europäischen Forschungsrates (ERC) nach. In Zusammenarbeit mit Kollege Navraj S. Pannu an der Universität von Leiden, Niederlande, nutze sie Computersimulationen, um einen Proteinkristall zu „bauen“ und diesen röntgenkristallographisch zu untersuchen. Die dabei gewonnen Daten wurden schließlich mit den derzeit gängigen Softwareprogrammen ausgewertet und die Struktur des Proteins bestimmt. Dieser experimentelle Aufbau erlaubte es Antonija Kuzmanic Rückschlüsse darauf zu ziehen, ob und wie genau die momentanen Analysemethoden wirklich das „sehen“ was da ist.
„Wir waren total überrascht, als wir festgestellt haben, dass die gängigen Programme zur Analyse röntgenkristallographischer Daten zur Strukturbestimmung von Proteinen die Dynamik innerhalb des Proteins – also wie stark jedes einzelne Atom in seiner Position herumwackeln kann – völlig unterschätzen. Unsere Daten zeigen, dass die Beweglichkeit der Atome bis zu sechsmal höher ist. Das ist, als ob man seinen Kopf plötzlich um 180 Grad drehen könnte, statt nur nach links oder rechts“, wie Antonija Kuzmanic erklärt.
Inspirierende Arbeit
Garib Murshudov von der Universität Cambridge in England, Strukturbiologe und einer der Gutachter der Doktorarbeit von Antonija Kuzmanic, schrieb: „Das ist mein Lieblingskapitel, es ist inspirierend […] es zeigt ganz eindeutig, dass wir neue Methoden brauchen, um die Dynamik von Proteinen in Kristallen zu beschreiben.“
Solche Programme zur genaueren Analyse röntgenkristallographischer Daten und zur Bestimmung der Dynamik eines Proteins werden nicht nur ein realistischeres Bild von der Struktur eines Proteins in der Natur geben – also davon, wo der Torhüter sich tatsächlich aufhält und wie er sich bewegt – sondern auch helfen neue Medikamente zu entwickeln, die die Funktion eines Proteins gezielter und effizienter regulieren können.