Immer online sein: surfen, chatten, spielen – ohne Internet geht gar nichts mehr. Sucht kann auch ohne Aufnahme psychotroper Substanzen entstehen. Viele Menschen betreiben in einem so exzessivem Maße Verhaltensweisen, dass sie in ihrem sozialen und beruflichen Leben beschädigt werden.
Unser Gehirn lernt ständig, manchmal aber auch falsches, von dem es sich nicht mehr befreien kann. Dazu gehört vor allem das von Suchtstoffen abhängige Verhalten. Ein Suchtgedächtnis prägt sich ins Gehirn ein und bestimmt das süchtige Verhalten. Lange dachte man, Sucht gäbe es nur bezüglich stofflicher Substanzen wie Alkohol, Nikotin und Drogen. Erst seit kurzem wurde entdeckt, dass Verhaltensweisen wie Glücksspiel, Internet, Kaufen und sexuelle Aktivitäten zur Sucht werden können. Diese „nicht-stoffgebunden Süchte“ äußern sich in der Wiederholungen von bestimmten Verhaltensweisen. Betroffene verspüren den starken Drang, dem jeweilige Reiz zu folgen. Dieser dominiert ihre Gedanken und ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit. Im Gehirn werden dabei die gleichen Belohnungszentren aktiviert wie bei substanzbezogenen Süchten.
Verhaltenssüchte wurden bisher vorwiegend zu den Störungen der Impulskontrolle gerechnet. Die für Mai 2013 geplante Veröffentlichung des DSM-V sieht eine Reklassifikation des „pathologischen Spielens“ in die Kategorie „Substance Use and Behavioral Disorders“ vor. Des Weiteren wird die Computerspielabhängigkeit als Forschungsdiagnose in den Anhang des DSM-V aufgenommen. Die WHO wird in der ICD-11 2015 einen Schritt weiter gehen und neben „Glücksspielsucht“ eine Sammelkategorie „Weitere Verhaltenssüchte“ einführen, zu der auch „Internet Gaming Addiction“ gehören soll.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) begrüßt die Berücksichtigung der Verhaltenssüchte in den internationalen Klassifikationen, weist aber auch darauf hin, dass pathologisches Kaufen, exzessives Sexualverhalten und Aspekte von Adipositas in Einzelfällen Suchtcharakter annehmen können, doch dass die Forschungsbefunde nicht für eine Eingruppierung in die Verhaltenssüchte ausreichen.
Gleichzeitig wendet sich die Fachgesellschaft gegen einen inflationär ausgeweiteten Suchtbegriff. DGPPN-Präsident Professor Wolfgang Maier: „Nicht jede Leidenschaft bedeutet Abhängigkeit. Von Sucht soll nur gesprochen werden, wenn klare Befunde vorliegen und ein Leidensdruck besteht. Eine Pathologisierung individueller Verhaltensweisen auf Grund ihrer sozialen Unerwünschtheit muss vermieden werden. Vielmehr soll sich eine Gesellschaft immer wieder kritisch mit den eigenen Konventionen auseinandersetzen, die festlegen, ob ein bestimmtes Verhalten als normal oder krankhaft bewertet wird.“
Aus Sicht der DGPPN ist es eine verstärkte fachliche Beschäftigung mit Verhaltenssüchten auf der Basis öffentlicher Förderung dringend erforderlich. Was im Rahmen des Glückspielstaatsvertrages bereits umgesetzt wurde, soll der DGPPN zufolge für die weiteren Verhaltenssüchte geschaffen werden: eine flächendeckende qualifizierte Beratungsstruktur mit klaren Impulsen für Forschung, Praxis und Prävention. So sind dort, wo es möglich ist, effiziente Kontrollmechanismen einzuführen. Gleichzeitig sind verhaltenspräventive Maßnahmen zu fördern.
Weitere Informationen:
>> Download DGPPN-Eckpunktepapier Verhaltenssüchte und ihre Folgen
(DGPPN)