Arbeiten ohne Ende? Abschalten und Abgrenzen will gelernt sein

Viele Beschäftigte arbeiten auch ohne Anweisung bis spätabends und am Wochenende, gehen krank zur Arbeit, verzichten auf Pausen und sind ständig erreichbar. Für Erholung, Hobbys, Freunde und Familie bleibt ihnen dadurch wenig Zeit. Warum tun sie das? Sie benehmen sich wie selbständige Unternehmer, bei denen nur der Erfolg die berufliche Existenz sichert. „Auf Dauer besteht die Gefahr, dass ihre Gesundheit unter der permanenten Belastung leidet“, sagt Patricia Lück, Referentin für Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) im AOK-Bundesverband.

Professor Dr. Andreas Krause, Dozent für Angewandte Psychologie an der Fachhochschule Nordwestschweiz, bezeichnet diese Form der “Selbstausbeutung” von Arbeitnehmern als “interessierte Selbstgefährdung”. Darunter versteht er ein Verhalten, bei dem Beschäftigte so viel arbeiten, dass sie ihre Gesundheit gefährden – und das aus eigenem Antrieb. Grund dafür sind dem Wissenschaftler zufolge moderne Managementstrategien, die dem Beschäftigten auf der einen Seite große Spielräume einräumen, diese aber durch enge Rahmenbedingungen wie Zeitvorgaben wieder stark einschränken.

Nur das Ergebnis zählt, nicht der persönliche Einsatz

Anders als früher werden die Mitarbeiter in ihrer Arbeit weniger stark kontrolliert, sondern am Ergebnis gemessen – etwa an der Erreichung von Zielen, Kennzahlen oder hohen Benchmark-Rängen. Sie müssen die fachliche Arbeit qualitativ hochwertig erledigen und gleichzeitig darauf achten, dass sich diese für den Betrieb rentiert. “Es zählt nicht mehr der persönliche Einsatz der Beschäftigten, sondern nur noch das Ergebnis”, erläutert BGF-Expertin Lück. Wie die Mitarbeiter die oft hohen Ziele erreichen sollen, bleibt meist unberücksichtigt.

Hoher Druck auf die Beschäftigten

“Formen dieser indirekten Steuerung werden mittlerweile in fast allen Branchen angewandt”, sagt Lück. Ob der Bankangestellte immer höhere Ertragszahlen liefern muss, die Projektleiterin mindestens fünf Projekte im Halbjahr umsetzen soll oder verglichen wird, welche Abteilung den meisten Umsatz gemacht hat – die Ausrichtung auf die Erreichung von Zielen schürt die Konkurrenz zwischen den Mitarbeitern und setzt jeden Einzelnen stark unter Druck, an der Erreichung der Ziele mitzuwirken.

Die Folge: Die wachsenden psychischen Belastungen machen immer mehr Arbeitnehmer krank. Das zeigt der Fehlzeiten-Report 2012 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO): Wegen eines Burnouts, also eines Zustands körperlicher und seelischer Erschöpfung, waren danach 2011 mehr als 130.000 Menschen insgesamt 2,7 Millionen Tage krank geschrieben.

Ständige Erreichbarkeit und Überstunden belasten

Dass immer mehr Beschäftigte unter Erschöpfung, Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit leiden und nach der Arbeit nicht abschalten können, führen die Autoren des Fehlzeiten-Reports 2012 unter anderem auf die ständige Erreichbarkeit, häufige Überstunden, wechselnde Arbeitsorte und lange Anfahrtswege zur Arbeit zurück. Das belegt auch eine repräsentative Befragung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) für den Fehlzeiten-Report: Danach hat mehr als jeder dritte Erwerbstätige in den letzten vier Wochen häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit erhalten oder Überstunden geleistet. Weitere Informationen zum Fehlzeiten-Report 2012 enthält die ams-Themenausgabe 05/12.

Doch wie können Mitarbeiter beruflichen Anforderungen gerecht werden und trotzdem gesund bleiben? “Bloße Verbote nützen nichts”, meint BGF-Referentin Lück, “denn viele Beschäftigte haben ja selbst ein hohes Interesse daran, ihre Arbeit gut zu machen und verheimlichen sogar, dass sie über das normale Maß hinaus arbeiten.” Es gehe aber nicht darum, die neuen Managementstrategien abzuschaffen, da sie viele Vorzüge hätten – von einer Steigerung der Produktivität bis hin zu mehr Entscheidungsspielräumen für die Mitarbeiter.

Auf die eigene Gesundheit achten – Tipps zum Abschalten

“Wichtig ist, dass Arbeitnehmer auch selbst auf ihre Gesundheit achten und hinterfragen, ob ihr momentaner Arbeitseinsatz ihnen gut tut”, rät Regina Herdegen, Präventionsexpertin im AOK-Bundesverband. Sie gibt Beschäftigten folgende Tipps:

 – Handeln Sie nicht nur bei der Erfüllung Ihrer Aufgaben selbstbewusst. Machen Sie auch deutlich, wo Ihre Grenzen liegen.
– Wenn Ziele zu hoch gesteckt sind, sollten Sie den Mut aufbringen, mit Ihrem Vorgesetzten darüber zu sprechen, unter welchen Bedingungen Sie die Ziele erreichen können und Unterstützung aushandeln.
– Schalten Sie abends und am Wochenende Ihr Diensthandy aus und beantworten Sie dann auch keine dienstlichen E-Mails. Sinnvoll ist es, vorab den Kunden mitzuteilen, bis wie viel Uhr Sie an Werktagen erreichbar sind.
– Genießen Sie Ihre Freizeit bewusst als arbeitsfreie Zeit.
– Versuchen Sie, nach Feierabend abzuschalten und sich zu erholen; etwa durch Sport, Hobbys, Gartenarbeit, Treffen mit Freunden, Unternehmungen mit der Familie oder auch einfach einmal durch Nichtstun.
– Nehmen Sie Warnsignale ernst: Wer regelmäßig in der Freizeit noch über Job-Probleme nachdenkt, gereizt ist, sich ausgebrannt fühlt und nicht mehr ein- oder durchschlafen kann, sollte sich für eine bessere Balance zwischen Beruf und Freizeit einsetzen.

Offene Kommunikation ist hilfreich

Doch auch die Unternehmen sollten sich die Risiken der indirekten Steuerung bewusst machen, um möglichen negativen Effekten vorzubeugen. “Das geht nur mit einer offenen Kommunikation”, sagt BGF-Expertin Lück. Sie empfiehlt Unternehmen, ihre Mitarbeiter zu befragen, ob und wie stark diese schon Frühwarnsymptome zeigen und welche Unterstützungsstrategien angeboten werden können. Das können erste Schritte der Prävention sein, Prioritäten auszuhandeln, überholte Gewohnheiten über Bord zu werfen und effektive Arbeitsweisen zu erlernen.

Weitere Informationen bei der AOK

HCC Redaktion

... schreibt über alle möglichen Themen rund um Mitarbeitergesundheit und Personal. Wichtige Schwerpunkte liegen auf der Arbeitsplatzgestaltung, Psyche, Ernährung, Bewegung und weiteren Einflussfaktoren nachhaltiger Gesundheitsprävention. Neben Fachartikeln und Tipps & Tricks-Beiträgen werden Interviews mit einschlägigen Persönlichkeiten zu BGM, BGF und mehr veröffentlicht.

Empfohlene Artikel