Die Verhandlungen über eine Revision der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie, die seit Dezember 2011 auf europäischer Ebene zwischen den Sozialpartnern – Europäischer Gewerkschaftsbund (EGB) und Business Europe, CEEP, UEAPME auf der Arbeitgeberseite – geführt wurden, sind gescheitert.
Zum Scheitern der Verhandlungen zur europäischen Arbeitszeitrichtlinie erklärte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied am Freitag in Berlin:
„Leider haben sich die Arbeitgeber durchgängig einem konstruktiven Dialog verweigert und kompromisslos Forderungen erhoben, um bestehende Mindeststandards im Arbeits- und Gesundheitsschutz massiv zu verschlechtern. Dies wäre zu Lasten von Millionen von Beschäftigten gegangen und ist deshalb für die europäischen Gewerkschaften nicht tragbar.
Die Arbeitgeber wollten, dass Bereitschaftsdienste nicht mehr voll als Arbeitszeit angerechnet werden. Dadurch würden die tatsächlichen Arbeitszeiten in einer die Gesundheit gefährdenden Weise verlängert. Für Krankenschwestern in der Notaufnahme hätte dies bedeutet, dass die Zeit bis zum Eintreffen des nächsten Notfallpatienten nicht als Arbeitszeit angerechnet wird. Auch die ‚Wartezeit’ einer Verkäuferin in einem Geschäft auf ihren nächsten Kunden würde nicht mehr als Arbeitszeit, sondern als Freizeit zählen.
Wir setzen uns dafür ein, zentrale Mindeststandards des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu gewährleisten, wie dies auch das Europäische Parlament im Jahre 2009 im Rahmen der Verhandlungen mit dem Rat gefordert hat. Nach Auffassung des DGB und des Europäischen Gewerkschaftsbundes wäre es besser gewesen, die Verhandlungen fortzuführen, statt eine neue Konfrontation auf europäischer Ebene herbeizuführen. Europa soll dazu beitragen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Die Vorschläge der Arbeitgeber stehen dazu im Widerspruch.
Die europäischen Gewerkschaften kämpfen für ein soziales Europa, das gute Arbeit und sichere Arbeitsbedingungen sowie eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewährleistet.“
Hintergrund: Mögliche Auswirkungen der Arbeitgeber-Wünsche zur Arbeitszeitrichtlinie
Bestimmte Anwesenheitszeiten würden gemäß der Arbeitszeitrichtlinie nicht als Arbeitszeit gewertet werden. Beispiele:
VerkäuferIn in einem Modegeschäft: Die Regale sind aufgeräumt, die Kasse stimmt und man wartet nun auf den nächsten Kunden. Bisher war diese Zeit unumstritten Arbeitszeit, doch nun wäre diese „Wartezeit“ – nach dem Wunsch der Arbeitgeber – keine Arbeitszeit mehr.
Bäckereifiliale: Angestellte warten auf die Lieferung der Brötchen. Bisher war diese Zeit unumstritten Arbeitszeit, doch nun wäre diese „Wartezeit“ – nach dem Wunsch der Arbeitgeber – keine Arbeitszeit mehr.
Krankenschwestern und Notärzte: Das Krankenhauspersonal wartet auf den nächsten Notfallpatienten. Bisher war diese Zeit unumstritten Arbeitszeit, doch nun wäre diese „Wartezeit“ – nach dem Wunsch der Arbeitgeber – keine Arbeitszeit mehr.
Journalisten: Sie warten auf ein Statement von einem Politiker, auf den Beginn einer Pressekonferenz oder die Freigabe eines Interviews. Bisher war diese Zeit unumstritten Arbeitszeit, doch nun wäre diese „Wartezeit“ – nach dem Wunsch der Arbeitgeber – keine Arbeitszeit mehr.
Beschäftigte in einer Autowerkstatt: Die Reparatur eines Wagens ist fertig. Nun warten sie darauf, dass ein neues Auto auf die Hebebühne gefahren wird. Bisher war diese Zeit unumstritten Arbeitszeit, doch nun wäre diese „Wartezeit“ – nach dem Wunsch der Arbeitgeber – keine Arbeitszeit mehr.
Die hier angeführten Beispiele verdeutlichen für den DGB die Folgen der Arbeitszeitrichtlinie: Nach dieser Wertung würde sich die tatsächliche Arbeitszeit deutlich erhöhen. Denn wenn Wartezeiten nicht angerechnet werden, verlängert sich die Höchstarbeitszeit entsprechend – gleichgültig ob gesetzlich oder tariflich. Und: Überstunden mit entsprechenden Zuschlägen braucht es dann nicht mehr: Die Mehrarbeit kann ja in dem durch die Wartezeit frei werdenden Zeitvolumen erledigt werden.
Es geht nicht dem DGB um Bereitschaftszeiten zu Hause wie bei Rufbereitschaft, sondern um Anwesenheitszeiten im Betrieb. Diese Anwesenheitszeiten sollen aus Sicht der Arbeitgeberseite nun nicht mehr oder nur teilweise angerechnet und damit auch nicht bezahlt werden! Durch eine längere Arbeitszeit bei gleichem Lohn würde auch der Mindestlohn unterlaufen werden.
Die Arbeitgeber wollten im Rahmen der Arbeitszeitrichtlinie auch eine vertragliche Definierbarkeit des Arbeitsortes durchsetzen. Daraus hätten sich folgende Fragen ergeben:
– Zählen Umkleidekabinen oder rückwärtige Räume als Arbeitsplatz, d.h. muss der dortige Aufenthalt als Arbeitszeit gewertet werden? Das heißt, wann beginnt der Arbeitstag einer Krankenschwester, die vom Kliniktor zu den Umkleideräumen eine Viertelstunde unterwegs ist, Zeit zum Umkleiden braucht und dann noch mal einmal Wegezeit zu ihrer Station hat?
– Zählen die Wegzeiten in Betrieben, man stelle sich einen Industriepark vor, als Arbeitszeit?
– Werden Übergabezeiten, die nicht am eigentlichen Arbeitsort stattfinden, auf die Arbeitszeit angerechnet?
(DGB)