Kooperationen zwischen Ärzten und Selbsthilfe: Partnerschaft auf Augenhöhe

„interessiertes Desinteresse“

Schon jetzt gibt es vielfältige Formen der Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Vertretern der Selbsthilfe. Ob Kooperationen zustande kommen und wie gut sie funktionieren, hängt jedoch stark vom Engagement Einzelner ab. Während viele Selbsthilfegruppen die Kooperation mit Ärzten suchen, stoßen sie bei den Gesundheitsprofis nicht selten auf ein „interessiertes Desinteresse“. Das hat Professor Dr. Dr. Alf Trojan, ehemaliger Direktor des Instituts für Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, in Studien und Befragungen herausgefunden. Danach fühlen sich manche Gesundheitsprofis schlecht informiert und fürchten einen hohen zeitlichen Aufwand. Andererseits sehen viele durchaus einen Nutzen in der Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe. Einer Umfrage in Hessen zufolge sind die Mediziner etwa der Meinung, dass Kooperationen die Patientenkompetenz im Umgang mit ihrer Krankheit stärken und die Selbsthilfearbeit eine sinnvolle Ergänzung zur professionellen Therapie ist.

Qualitätskriterien entwickelt

Das im Frühjahr 2009 gegründete Netzwerk »Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen« ist aus mehreren Einzelprojekten entstanden. Mehr als 130 Selbsthilfegruppen waren am Projekt beteiligt. Seit Januar 2013 hat das Netzwerk seine Geschäftsstelle unter dem Dach des Paritätischen Gesamtverbandes. Ab 2014 soll das Konzept bundesweit umgesetzt werden. „Es bringt nichts, Einzelprojekte zu starten, die bald wieder in der Versenkung verschwinden“, sagt Christa Steinhoff-Kemper, Mitarbeiterin der Selbsthilfe-Kontaktstelle Bielefeld im Paritätischen Nordrhein-Westfalen und Koordinatorin des Netzwerkes. Ziel des Konzeptes Selbsthilfefreundlichkeit ist es daher, die Zusammenarbeit zwischen Professionellen und Selbsthilfe strukturiert zu gestalten. „Die Kooperationen sollen auf Augenhöhe stattfinden, verbindlich und nachhaltig sein“, sagt Steinhoff-Kemper. Dazu wurden Qualitätskriterien und Vorgaben für die Umsetzung festgelegt. So verpflichten sich Gesundheitseinrichtungen, die als selbsthilfefreundlich ausgezeichnet werden wollen zum Beispiel, einen Selbsthilfebeauftragten zu benennen. Außerdem sollten sie Qualitätszirkel einrichten, in denen sie mit Vertretern der Selbsthilfe gemeinsam Grundlagen für eine langfristige Zusammenarbeit entwickeln.

Auszeichnung als Anreiz

Bislang haben 17 Krankenhäuser, neun Arztpraxen und zwei Reha-Kliniken den gesamten Prozess durchlaufen und die Auszeichnung erhalten. Dass sich der Aufwand lohnt, darüber berichtete Andreas Weymann, Geschäftsführer des St. Marien-Hospitals Mülheim an der Ruhr. „Bis 2009 wusste ich nicht, welche Selbsthilfegruppen vor Ort tätig sind“, sagt Weymann. „Durch den offenen, partnerschaftlichen und vertrauensvollen Umgang können wir nun besser auf die Bedürfnisse der Patienten eingehen und ihnen über ihren Klinikaufenthalt hinaus weitere Hilfen anbieten.“ Eine bessere Vernetzung koste kaum Geld, sondern hänge eher von der persönlichen Initiative und vom Verständnis der Beteiligten füreinander ab, schildert Weymann seine Erfahrung.

Vorgestellt wurden auch Projekte zur Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärzten und Selbsthilfegruppen, etwa das Pilotprojekt „Selbsthilfefreundliche Arztpraxis“ in Dortmund. Laut Klaus Balke von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sind auch die Ärzte an einer stärkeren Vernetzung interessiert. Die Kooperationsstelle für Selbsthilfeorganisationen der KBV fördere die Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Vertragsärzte, Psychotherapeuten und Selbsthilfe auf Bundesebene. Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben Kooperationsberatungen für Selbsthilfegruppen, Ärzte und Psychotherapeuten (KOSA) gegründet. Balke stellte die wichtige Rolle der Medizinischen Fachangestellten bei einer engeren Zusammenarbeit zwischen Praxisteams und Selbsthilfegruppen heraus. Fortbildungsveranstaltungen einzelner Kassenärztlicher Vereinigungen für Medizinische Fachangestellte stießen bereits auf großes Interesse, so Balke.

(AOK Bundesverband)

HCC Redaktion

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