Einsparungen bei öffentlichen sozialen Diensten verdichten und erschweren die Arbeitsbedingungen und Anforderungen in diesem Bereich. Um dennoch qualitative Leistungen für Hilfebedürftige erbringen zu können, ist ein sensibles und speziell auf die unterschiedlichen Arbeitsbreiche angepasstes betreibliches Gesundheitsmanagement erforderlich.
Im heutigen HCC-Best-Practice-Interview spricht Dr. Kornelius Knapp, Referent Personalentwicklung beim Diakonischen Werk der evangelischen Kirche in Württemberg und Leitung der Projekte “Chronos” und “Debora”, über das Betriebliche Gesundheitsmanagement in der Diakonie Württemberg.
Das Diakonische Werk Württemberg übernimmt als ein Wohlfahrtsverband im Auftrag des Staates die Hilfe für arme, kranke, behinderte und benachteiligte Menschen und ist ein Dachverband für über 2.000 Einrichtungen und Dienste. Insgesamt betreut die Diakonie in Württemberg über 270.000 Menschen, in Beratungsstellen oder in Einrichtungen, in denen sie leben. Über 40.000 Menschen sind hauptamtlich und mehr als 35.000 sind ehrenamtlich in der württembergischen Diakonie beschäftigt. Für junge Menschen bietet die Diakonie das Freiwillige Soziale Jahr sowie das Freiwillige Ökologische Jahr oder den Auslandsfreiwilligendienst X-Change an.
Im Hauptbühnenprogramm der Fachmesse HUMAN CAPITAL CARE spricht Dr. Knapp am 8. Oktober 2013 von 10:30 – 11:00 Uhr zum Thema „Betriebliches Gesundheitsmanagement – bedarfsgerecht, systematisch, lösungsorientiert. Erfahrungen aus der Sozialwirtschaft“.
Herr Knapp, bitte stellen Sie das Diakonische Werk Württemberg sowie Ihre Aufgabengebiete und Projekte kurz vor.
Das Diakonische Werk Württemberg ist ein Spitzenverband der Wohlfahrtspflege in Württemberg. In ihm sind mehr als 320 evangelische Träger der Sozialwirtschaft in Württemberg organisiert, bei denen etwa 40.000 Mitarbeitende Leistungen insbesondere in der Altenhilfe, Behindertenhilfe, Kinder- und Jugendhilfe sowie in Beratungsstellen erbringen. Neben der politischen Interessensvertretung organisiert das Diakonische Werk Württemberg für seine Mitglieder eine zentrale Öffentlichkeitsarbeit und gibt Unterstützung beispielsweise in juristischen, ökonomischen und personalwirtschaftlichen Fragen.
Welche Besonderheiten bestehen in der Diakonie und in dieser Branche generell hinsichtlich der Anforderungen an die Mitarbeiter im Arbeitsablauf, sowohl körperlich als auch psychisch? Gibt es ein bestimmtes Belastungsprofil Ihrer Mitarbeiter?
Durch die Einsparungen der öffentlichen Hand hat sich die soziale Arbeit in allen Hilfebereichen kontinuierlich und deutlich verdichtet. Auch in den enger werdenden Rahmenbedingungen erbringen die Mitarbeitenden mit viel Engagement qualitätsvolle Leistungen für hilfebedürftige Menschen. An welcher Stelle die Arbeit Belastungen mit sich bringt, ist je nach Hilfebereich und Einsatzort sehr verschieden. Dies bedeutet, dass ein Gesundheitsmanagement, das alle Beschäftigte, wirkungsvoll unterstützen soll, sehr differenziert Angebote machen muss. Demnach muss das leitende Konzept stark partizipativ, ursachenbezogen und lösungsorientiert sein. Wenn nicht pauschal und gießkannenmäßig Angebote gestreut, sondern gezielt Belastungen reduziert und Ressourcen gestärkt werden sollen, muss das Gesundheitsmanagement sensibel sein für die Verschiedenheit der Arbeitssituationen und die Unterschiedlichkeit der Mitarbeitenden.
Wie und wann kam es dazu, dass sich die Diakonie für Maßnahmen betrieblicher Gesundheitsförderung entschied und wie sah in diesem Zusammenhang die Ausgangssituation aus?
Die demografischen Herausforderungen für die diakonischen Einrichtungen und Dienste waren der Ausgangspunkt für unsere intensiven und systematischen Bemühungen im Themenfeld Gesundheit. Mit unterschiedlichen Trends macht sich der demografische Wandel bemerkbar. Die Anforderungen an die Arbeit in den Hilfebereichen steigen (Vernetzung, Komplexität, Inklusion, Konversion), die Nachfrage – beispielsweise in der Altenpflege – nimmt zugleich deutlich zu, die Gewinnung von Nachwuchskräften wird schwieriger – wir haben sinkende Schülerzahlen, und den Wegfall des Zivildienstes – und wir verzeichnen eine Alterung der Belegschaften. Ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Sicherung der Arbeit in sozialen Unternehmen ist die Stärkung der vorhandenen Mitarbeitenden. Wenn es gelingt, die vielen kompetenten und leistungsfähigen Kolleginnen und Kollegen langfristig gesund in der Arbeit zu erhalten, trägt dies wesentlich zur Qualität der sozialen Arbeit bei.
Wie haben Sie die Gesundheitsförderung in die eigenen Prozesse integriert und worauf mussten Sie besonders achten? Haben Sie sich auch Hilfe von außerhalb geholt?
Das Konzept zum Gesundheitsmanagement, das den Titel „BELEV – Gesundes Arbeiten gestalten“ trägt, nimmt fünf unterschiedliche Handlungsfelder in den Blick, die alle einen wissenschaftlich belegbaren Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden haben (Unternehmensleitung, Vorgesetzte, Team, Arbeitsorganisation, individuelle Ebene). Diese werden mit den Prinzipien der Salutogenese (Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit) kombiniert. Dadurch entsteht eine breit angelegte Matrix, die es erlaubt, sehr differenziert die Belastungen und Ressourcen bei der Arbeit zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Dadurch können die in den unterschiedlichen Trägern vorhandenen Strukturen und Bedingungen flexibel integriert werden.
Welche Maßnahmen ergriffen Sie im Einzelnen bzw. wie sahen konkrete Angebote für Ihre Mitarbeiter aus und wie wurden diese umgesetzt?
Aufgrund des Ansatzes, dass die Maßnahmen passgenau gestaltet sein müssen, damit sie wirksam sein können, wurden je nach Bedarf in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedliche Maßnahmen entwickelt und umgesetzt. Beispielsweise wurden Teamstrukturen angepasst, Führungskräfte gestärkt, Hilfsmittel wie zum Beispiel Lifter, Stecktafeln und anders ausgestattete Fahrzeuge angeschafft, Kommunikationswege verbessert, Springerdienste eingeplant, Bonussysteme zur Anerkennung flexibler Dienstübernahme entwickelt, Rekrutierungswege optimiert, Besprechungen angepasst, Arbeitsabläufe geklärt oder Fitnessangebote eingeführt. So vielfältig und unterschiedlich die sozialen Träger sind, so vielfältig und unterschiedlich waren auch die Maßnahmen.
Wie reagierten Ihre Mitarbeiter auf die neuen Angebote und Maßnahmen und wie gut wurden diese auch praktisch angenommen?
Die Mitarbeitenden sind bei der Analyse, Entwicklung und Umsetzung der Maßnahmen beteiligt worden. So konnten die Maßnahmen identifiziert werden, die auch von den Mitarbeitenden befürwortet werden. Da es zudem nicht primär darum geht, weitere Bonbons zu verteilen, die dann nur von den immer schon (sport-)interessierten und (gesundheits-)engagierten Mitarbeitenden genutzt werden, sondern konkrete Belastungen beispielsweise in der Führung oder im Team reduziert und wirkungsvolle Ressourcen ausgebaut werden sollen, ist die breite Beteiligung der Mitarbeitenden von Beginn an gegeben.
Zeigten sich schon erste Erfolge durch die Maßnahmen und wenn ja, wann wurden diese sichtbar?
Erfolge von Aktivitäten im Gesundheitsmanagement lassen sich wie in der betrieblichen Bildung und im Marketing nur eingeschränkt mit belastbaren Zahlen belegen. Die Einflussfaktoren auf die Gesundheit sind zu vielfältig als dass zweifelsfrei von einer Maßnahme auf die Veränderung der Krankheitsquote geschlossen werden könnte. Dennoch lässt sich für einige Einrichtungen zeigen, dass sich mit der Nutzung des Konzepts die Krankheitsquote zum Teil sehr deutlich verbessert hat. Nimmt man die Anzahl der dauerhaft eingeführten Maßnahmen als Erfolgskriterium, ist die Wirkung des Konzepts nicht zu bestreiten. In jedem Kontext konnten bislang eine Vielzahl von kleineren und umfänglicheren Maßnahmen umgesetzt werden.
Waren die gewählten Maßnahmen auf Anhieb erfolgreich? Musste Ihr Unternehmen noch etwas an seinem Vorgehen anpassen?
Die Entwicklung des Konzepts erstreckte sich auf einen längeren Zeitraum, der ohne Projektmittel von Seiten des Bundesministerium für Arbeit und Soziales und des Europäischen Sozialfonds nicht möglich gewesen wäre. Durch den längeren Vorlauf entstand das Konzept, das in unterschiedlichen Kontexten Wirkung entfaltet. Verschiedene Tools und Hilfsmittel (MA-Befragung, Workshopspiel, Publikationen, Beraterpool, Fortbildungen), die nun in der Breite genutzt werden, unterstützen nun die leicht handhabbare Umsetzung.
Wie steht es heute um die Unternehmensgesundheit und wie wollen Sie langfristig vorgehen?
Die Stärkung der Gesundheit der Mitarbeitenden ist ein dauerhaftes Thema, das nur gut bearbeitet wird, wenn die Bemühungen kontinuierlich anhalten. Deshalb wird das Konzept „BELEV – Gesundes Arbeiten gestalten“ auch durch Lernprozesse auf individueller und betrieblicher Ebene unterstützt. Je mehr Mitarbeitende und Führungskräfte die Gesundheit differenziert bedenken können und je stabiler ein betrieblicher Verbesserungsprozess implementiert ist, desto eher wird es Wirkung entfalten. Dann wird das Konzept eine wichtige Antwort auf die Auswirkungen des demografischen Wandels sein, das neben anderen hilft, langfristig die Qualität und Zuverlässigkeit der sozialen Arbeit in diakonischen Einrichtungen und Diensten zu sichern.
Haben Sie abschließend einige Tipps für Unternehmen und Organisationen, die darüber nachdenken, ebenfalls die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern?
Entscheidend für die Förderung der Gesundheit sind aus meiner Sicht eine langfristige Perspektive und der kluge Blick auf die verschiedenen Wirkfaktoren. Sicherlich können punktuelle Gesundheitstage, einzelne Rückenschulen oder gymnastische Übungen ein erster Impuls für die Gesundheitsförderung sein. Ob sie aber die erforderlichen Entlastungen bedeuten, kommt auf die konkrete Arbeitssituation an. Nur in Relation zu dieser lassen sich die passenden und wirksamen Maßnahmen entwickeln.
Vielen Dank für Ihre Antworten und Erfahrungen!
Interview: Anja Gebhardt (Redaktion HCC-Magazin)