In der HCC-Themenserie rund um Best-Practice-Beispiele für angewandtes BGM und betriebliche Gesundheitsförderung spricht heute Birgit Florineth, Leiterin Personal bei der Schoeller GmbH & CoKG, einem globalen Anbieter von Garnen mit Sitz in Bregenz/Österreich, über die gesundheitsfördernden Maßnahmen im Betrieb sowie die Erfahrungen des Unternehmens.
Für seine umweltfreundliche chlorfreie Filzfreiausrüstung EXP 3.0 (EX-Pollution 3.0) für Wollgarne wurde die Schoeller Spinning Group in der Kategorie „nachhaltige Produktion“ mit dem Innovationspreis 2012 der Wirtschaftkammer Vorarlberg ausgezeichnet und erhielt zudem den Zukunftspreis der Stadt Bregenz. Die Kammspinnerei ist außerdem mit dem Umwelt- und Ökosiegel „blusign“ sowie mit dem „Global Organic Textile Standard” zertifiziert. Für EXP 4.0 erhielt Schoeller den Outdoor Industry Award 2013 „GOLD“.
Frau Florineth spricht am 8. Oktober von 11:30 bis 12:00 Uhr im Hauptbühnenprogramm der Fachmesse HUMAN CAPITAL CARE zum Thema „Gesundheitsorientierung durch Wissensvermittlung – Blick über Grenzen“. Im Interview mit dem HCC-Magazin können Sie heute einen Einblick in die praktischen Erfahrungen mit der Förderung von Mitarbeitergesundheit der Schoeller Spinning Group gewinnen.
Frau Florineth, bitte stellen Sie Ihr Unternehmen sowie Ihre Produkte kurz vor.
Die Schoeller Spinning Group ist ein globaler Anbieter von Garnen mit Schwerpunkt Kammgarn. Wir bieten eine breite Produktpalette und arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen. Denn wir sind überzeugt: gemeinsame „Spinnereien“ führen zu den besten Lösungen. Textilien für Mode, Sport und den technischen Bereich sind nur so gut wie ihr Ausgangsmaterial – das Garn. Unsere Sortimentspolitik orientiert sich daher an hoher Wertigkeit und Funktionalität. Mit innovativen Entwicklungen haben wir, und unsere Kunden, die Nase vorn. Wir halten uns an strenge ökologische Richtlinien über alle Fertigungs- und Beschaffungsstufen und arbeiten in unseren Labors ständig an der Optimierung und Entwicklung von Verfahren und Produkten. Zusätzlich bieten wir auch Garne mit G.O.T.S. Zertifikat und sind weltweit die erste Kammgarnspinnerei, die mit dem umfassendsten Umweltzertifikat „bluesign“ ausgezeichnet wurde. 2012 wurde Schoeller der Innovationspreis des Landes Vorarlberg sowie der Zukunftspreis der Stadt Bregenz verliehen.
Die Schoeller-Betriebe in Bregenz (A) und Hard (A) wurden 1896/1897 als Kammgarnspinnerei und Färberei gegründet. In Bregenz befindet sich die Geschäftsleitung und Verwaltung der Spinnereigruppe mit 40 Mitarbeitern. Weitere Standorte sind in Hard (A, Färberei, 120 Mitarbeiter) und in Kresice (CZ, Spinnerei, 290 Mitarbeiter). In Süssen (D, 50 Mitarbeiter) ist der Handstrickgarnvertrieb stationiert.
Welche Besonderheiten bestehen in Ihrer Branche und vor allem in Ihrem Unternehmen hinsichtlich der Anforderungen an die Mitarbeiter im Produktionsablauf, sowohl körperlich als auch psychisch. Gibt es ein bestimmtes Belastungsprofil der Mitarbeiter?
In der Produktion in Hard weisen die Tätigkeiten der Arbeiter teilweise ein sehr hohes Profil an physischen (Fehl-)Belastungen auf. Arbeiter bewegen in einer Schicht mehrere Tonnen Wolle. Jeder Arbeiter hebt, trägt, schiebt und zieht mehrere Hundert Bumps innerhalb einer Schicht. Bei den Arbeitern handelt es sich um überwiegend ungelernte Kräfte mit maximalem Pflichtschulabschluss.
In der Verwaltung wird, wie in anderen Unternehmen auch, ein Großteil der Arbeit im Sitzen am Bildschirm verrichtet, was ohne entsprechenden Ausgleich zu körperlichen Fehlbelastungen führt.
Die Themen Stress, Betriebsklima und privater Lebenswandel spielen als Belastung eine entsprechend große Rolle.
Wie und wann kam es dazu, dass sich Ihr Unternehmen für Maßnahmen im betrieblichen Gesundheitsmanagement entschied und wie sehen konkrete Angebote für Ihre Mitarbeiter aus?
Wir bieten unseren Mitarbeitern seit vielen Jahren einen Zuschuss für Mittagessen in nahegelegenen Restaurants, eine Cafeteria mit Kühlschrank, Kochgelegenheit, Mikrowelle und Wasserkocher. Zudem erhalten Schoeller-Mitarbeiter gegen einen minimalen Unkostenbeitrag eine Jahreskarte fürs Fitnesscenter.
2011 haben wir uns überlegt, wie wir unsere Mitarbeiter in Bezug auf Stress, Betriebsklima (Wohlfühlen in der Firma) und privatem Lebenswandel unterstützen können. Denn alle diese Faktoren wirken sich unmittelbar auf die Arbeitsleistung und in weiterer Folge auf Fehlzeiten aus. Natürlich spielte auch die Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen bzw. ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, eine Rolle. Zielsetzung war daher auch die Senkung der Fluktuation.
Dazu haben wir 2011 eine Schoeller-Akademie ins Leben gerufen. Es gibt ein Jahresprogramm mit wöchentlichen Vorträgen zu gesundem Essen, Stressabbau, Freude bei der Arbeit, Psychische Belastungen, Denkstilpräferenzen, Mobbing, Social Media (inkl. Suchtgefahren im Internet), Schuldenfallen, Steuern sparen, etc. Die Vorträge finden jeden Donnerstag von 13:30-14:30 Uhr (in der Arbeitszeit) statt und können nach kurzfristiger vorheriger Anmeldung von jedem Mitarbeiter besucht werden.
In dieser Akademie werden gleichzeitig Produktions- und Verwaltungsabteilungen vorgestellt, was zu einem besseren Verständnis der Arbeitsabläufe und in weiterer Folge einer kollegialeren Zusammenarbeit führt. Das gemeinsame Teilnehmen an Vorträgen von Mitarbeitern aus den Standorten Bregenz und Hard und das gegenseitige Kennenlernen fördert das Betriebsklima.
2013 starteten wir in der Produktion ein RückenFit-Programm. Dabei wurden die Arbeitsplätze auf deren physische Belastungen analysiert, einzelne Tätigkeiten, die Arbeitsplatzergonomie sowie Hilfsmaterialen optimiert und den Mitarbeitern eine rückenschonende Verhaltensweise als automatisierte Bewegung antrainiert. Gleichzeitig haben wir für die Mitarbeiter in der Verwaltung eine Serie von Ausgleichsübungen per Mail eingeführt. 3 x wöchentlich wird an alle E-Mail-Empfänger automatisiert ein Mail mit kurzen Ausgleichsübungen versandt.
Außerdem wurde 2013 in das Mitarbeitergespräch ein Fragebogen über psychische Belastungen am Arbeitsplatz eingebaut. Die Vorgesetzten wurden angewiesen, Stressbelastungen in Bezug auf Aufgabenanforderungen, Organisationsklima, Arbeitsumgebung und Arbeitsabläufe zu erfassen, besprechen und entsprechend Maßnahmen zu ergreifen. Die ausgefüllten Fragebögen werden in der Personalabteilung gesammelt und die Ergebnisse ausgewertet.
Wie haben Sie in Ihrem Unternehmen betriebliches Gesundheitsmanagement bzw. betriebliche Gesundheitsförderung in die eigenen Prozesse integriert und worauf mussten Sie in Ihrem Betrieb besonders achten? Haben Sie sich auch Hilfe von außerhalb geholt?
Die Abteilungsleiter mussten für die Projekte begeistert werden, damit sie ihre Mitarbeiter nicht nur während der Arbeitszeit für Vorträge freistellen, sondern auch ermutigen, diese zu besuchen. Für den Gesundheitsbereich der Schoellerakademie wurden externe Vortragende engagiert. Das RückenFit-Programm fand in Zusammenarbeit mit unserer Betriebsärztin sowie ameco, dem Arbeitsmedizinischem Zentrum Vorarlberg, statt. In der Produktion wurden in weiterer Folge die Schichtführer geschult, damit sie regelmäßig Rückenübungen mit ihren Mitarbeitern durchführen.
Wie reagierten Ihre Mitarbeiter auf die neuen Angebote und Maßnahmen und wie gut wurden diese auch praktisch angenommen?
Über 30 Prozent unserer Mitarbeiter besuchen regelmäßig das Fitnesscenter.
Die maximale Teilnehmeranzahl der Schoellerakademie zu Gesundheitsthemen wurde laufend gesprengt, worauf wir beschlossen, jeden Vortrag ein zweites Mal anzubieten.
Das RückenFit-Programm wird gerade in der ersten Produktionsabteilung durchgeführt. Weitere Abteilungen sind geplant. Anfangs waren wir etwas schockiert, da plötzlich alle Mitarbeiter in dieser Abteilung über Rückenschmerzen klagten. Es ist ihnen wohl bewusst geworden, dass es nicht selbstverständlich ist, dass körperliche Arbeit gleich Rückenschmerzen bedeutet. Das Projekt läuft und wird als Präventivmaßnahme gegen Rückenschädigungen gesehen.
Bei einer Umfrage, ob weitere E-Mails zu Ausgleichsübungen am PC gewünscht werden, haben lediglich zwei Mitarbeiter diese abgelehnt.
Zeigten sich schon erste Erfolge durch die Maßnahmen und wenn ja, wann wurden diese sichtbar?
In der Schoellerakademie haben sich Mitarbeiter persönlich kennengelernt – über zwei Standorte und durch gegenseitige Einblicke in die Arbeit in den Abteilungen. Die Zusammenarbeit hat sich dadurch merklich verbessert. Wir haben sehr viel positives Feedback von unseren Mitarbeitern erhalten. Sie fanden die Themen interessant und es wurde viel darüber diskutiert. Auch die Fluktuationszahl ist innerhalb eines Jahr merklich gesunken.
Morgens um 10 Uhr, wenn das Mail mit den Ausgleichsübungen rundum geht, wird bei Schoeller kurz mal geturnt (1-2 Minuten), es wird der Rücken durchgestreckt, die Augen gerollt (Ausgleichsübungen für die Augen) oder Tipps für einen gesunden Bürotag entgegen genommen (öfters mal lüften, Wasserschalen oder Blumen aufstellen etc.). Eine Mitarbeiterin meinte, dass ihr Kollege sie um 10 Uhr aus dem Büro geschickt hat, weil er jetzt eine Ausgleichsübung machen muss. Auch hier haben wir im Personalbüro tolles Feedback von unseren Mitarbeitern bekommen.
Waren die gewählten Maßnahmen auf Anhieb erfolgreich? Musste Ihr Unternehmen noch etwas an seinem Vorgehen anpassen?
Im Laufe der Schoellerakademie wurden auf Wunsch der Mitarbeiter zusätzliche Kurse eingebaut.
So haben die Lehrlinge ein Schuldenfallen-Projekt erarbeitet, welches den Mitarbeitern vorgestellt wurde. Mitarbeiter wollten wissen, was denn ein Geschäftsführer so den ganzen Tag macht, woraufhin sich der Geschäftsführer spontan bereit erklärte, bei einem Vortrag seine Aufgabenbereiche zu präsentieren. Als Mobbing im Büro Thema war, haben wir auch hier einen Vortrag dazu eingebaut.
Mitarbeiter der Produktion haben sich so gut wie gar nicht zur Schoellerakademie angemeldet. Wir haben hier nachgehakt, indem wir jedem Produktionsmitarbeiter noch eine persönliche Einladung in die Hand drückten. Trotzdem war das Interesse der Arbeiter für die Vorträge sehr gering.
Die Mails mit den Ausgleichsübungen waren vorerst nur für einen kurzen Zeitraum geplant. Aufgrund des großen Erfolgs haben wir die Serie ausgebaut. Seit April 2013 erhalten unsere Mitarbeiter alle zwei Tage die verschiedensten Übungen. Die Serie setzt sich vorerst bis Mitte Juli fort.
Wie veränderte sich das Unternehmen durch die Maßnahmen hinsichtlich beispielsweise der Fehltage, der Zufriedenheit der Mitarbeiter und der Wirtschaftlichkeit?
Es ist schwierig, die Maßnahmen an Fehltagen und Wirtschaftlichkeit direkt zu messen. Indirekt helfen uns diese Maßnahmen ein attraktiver Arbeitgeber zu sein mit Mitarbeitern, die stolz sind, bei Schoeller arbeiten zu dürfen und Bewerbern, die gerne bei Schoeller arbeiten würden. Es verbessert gleichzeitig das etwas angeschlagene Arbeitgeber-Image der Textilindustrie in Europa.
Wie steht es heute um die Unternehmensgesundheit und wie wollen Sie langfristig vorgehen?
Die Menschen werden in Zukunft immer länger im Arbeitsprozess sein. Daher ist es enorm wichtig, die gesundheitliche Konstitution auf einem hohen Niveau zu halten. In der Produktion werden Präventivmaßnahmen mit ergonomischen Arbeitsplätzen und Rückenschule ein Hauptaugenmerk sein. Gleichzeitig kommt der Personalarbeit durch Unterstützung in privaten Belangen immer mehr Bedeutung zu (Schulden, Scheidungen, Ämterverkehr usw.), das Leben wird für viele immer komplizierter.
In der Verwaltung setzen wir vermehrt auf Altersteilzeit, damit ältere Mitarbeiter einerseits ihr Knowhow langfristig weitergeben können und gleichzeitig einen gleitenden Übergang in die Pension vollziehen können. Auch flexible Arbeitszeiten sind ein Thema. Wir haben unsere Arbeitszeitmodelle in den letzten Jahren erweitert und unsere Blockzeiten (Anwesenheitspflicht) auf ein Minimum reduziert.
Ein weiterer Schwerpunkt sind junge Auszubildende, die einfach anders ticken bzw. oft mit psychischen Beeinträchtigungen kämpfen und viel mehr Betreuung und Aufmerksamkeit brauchen.
Haben Sie abschließend einige Tipps für Unternehmen, die darüber nachdenken, ebenfalls die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern?
Eine Förderung der Mitarbeiter-Gesundheit sollte ganz individuell auf das Unternehmen abgestimmt sein. Dazu braucht man das Ohr zum Mitarbeiter. Wo fehlt’s? Wo gibt es Probleme? Welche Themen spielen in unserem Unternehmen eine Rolle?
Wichtig dabei ist, das Bewusstsein der Mitarbeiter für ihre Gesundheit wachzurütteln. Gleichermaßen soll dem Mitarbeiter das Gefühl gegeben werden: Du bist uns wichtig, wir kümmern uns um Dich!
Vielen Dank für Ihre Antworten und Erfahrungen!
Interview: Anja Gebhardt (Redaktion HCC-Magazin)