Frauen in der „Teilzeit-Sackgasse“

Arbeits- und Wirtschaftssoziologe kritisiert deutsche Familienpolitik für ihre widersprüchlichen Anreize

Inpuncto Bildung gelten die skandinavischen Länder aus Sicht vieler Experten bereits seit gut einem Jahrzehnt als Vorbild. Aber auch in Sachen Gender Diversity könnte vor allem die Politik hierzulande noch recht viel lernen. Davon zumindest geht Prof. Dr. Gerhard Bosch, Direktor des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE), aus.

Frauen: 3,1 Millionen Vollzeitangestellte gegen den Fachkräftemangel?

Denn wenn Frauen in Deutschland im gleichen Umfang wie in Schweden arbeiten könnten, stiege das Arbeitsangebot um rund 3,1 Millionen Vollzeitangestellte. Rein rechnerisch ließe sich der aufgrund der demografischen Alterung prognostizierte Fachkräftemangel damit leicht decken. Kinderbetreuung und Ganztagsschulen werden hier allerdings im Vergleich zu Schweden erst mit rund 50 Jahren Verspätung ausgebaut. „Für diese Angebote fehlt das Geld hinten und vorne, weil wir in Deutschland zwei unterschiedliche Familienmodelle fördern“, kritisiert Bosch.

Schlusslicht in puncto Kinderbetreuung

Die Datenbank der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) zeigt, dass die Bundesrepublik lediglich ein halbes Prozent seines Bruttosozialprodukts in die Kinderbetreuung investiert. Zum Vergleich: in Dänemark sind es 2,1 Prozent, in Schweden 1,7 und im Nachbarland Frankreich immerhin noch 1,2 Prozent. Damit stellt Deutschland in puncto Kinderbetreuung das Schlusslicht dar – und das trotz seiner europaweit relativ guten Wirtschaftslage.

Antiquiert und kompliziert

Hierzulande werde neben dem neuen Familienmodell mit zwei Verdienern nach wie vor das alte Hauptverdienermodell gefördert, stellt Bosch fest. Ein Modell von gestern und kompliziert zugleich, denn die Kombination von abgeleiteter Krankenversicherung, Ehegattensplitting, Mini-Jobs und „Herdprämie“ (Betreuungsgeld) bringt nicht nur das ein oder andere Faminlienoberhaupt völlig durcheinanden, sondern setze aus Sicht von Prof. Bosch starke Anreize, dass Frauen gar nicht – oder wenn überhaupt – nur geringfügig arbeiteten.

Stark zerstückelte Beschäftigungsverhältnisse

Die Erwerbstätigenquote der Frauen in Deutschland ist zwischen 2001 und 2011 zwar um neun Prozentpunkte auf 67,7 Prozent gestiegen, weil viele aber nur in Teilzeit beschäftigt sind, sieht es umgerechnet in Vollzeitstellen wesentlich bescheidener aus! Die Quote erhöht sich dann nur um 5,3 Prozent auf 51,8 Prozent. Eine Auswertung des sozio-ökonomischen Panels durch das IAQ zeigt, dass 2008 in Mini-Jobs durchschnittlich zwölf Stunden die Woche gearbeitet wurde – die Beschäftigten aber gerne 20,8 Stunden arbeiten würden.

Frauen in der „Teilzeit-Sackgasse“?

Ob Frauen in der von Gerhard Bosch festgestellten „Teilzeit-Sackgasse“ bleiben, gilt abzuwarten, wie der Soziologe selbst einräumt. Schließlich kann es beim Ausbau der Kinderbetreuung beziehungsweise Ganztagsschulen, dem Elterngeld sowie familienfreundlicheren Arbeitszeiten immer noch zu der ein oder anderen Trendwende kommen: „Das Erwerbsverhalten ändert sich bei den Frauen, sie wollen zunehmend erwerbstätig werden, … “.

(cs / IAQ / UDE / IDW)

HCC Redaktion

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