Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat eine negative Meinung von adipösen Menschen. Die Überzeugung herrscht vor, sie seien faul, dumm, disziplinlos und selbst schuld an ihrem Übergewicht. Wie wirkt sich dies auf die Betroffenen aus, die diese negative Meinung, Vorurteile, ebenso wie verletzende Bemerkungen und ablehnendes Verhalten hinnehmen müssen? Eine Studie der Universität Leipzig ergab, dass das Annehmen dieser Stigmatisierung durch die Betroffenen zu einer starken Verringerung von Selbstachtung und Selbstvertrauen führt und dadurch Ängste und Depressionen nach sich zieht.
In der repräsentativen Erhebung der Medizinischen Psychologie und Soziologie der Universitätsmedizin Leipzig sowie des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen wurde bei 1158 übergewichtigen und adipösen Studienteilnehmern ab 14 Jahren mittels spezieller Fragebögen untersucht, wie weit sie negative gewichtsbezogene Meinungen und Vorurteile (Stereotypen) für sich annehmen, selbst stigmatisieren und ein erhöhtes Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen haben. Dies ist vor allem der Fall, wenn das Selbststigma den Selbstwert mindert. “Wenn das negative Fremdbild zum Selbstbild wird, benötigen diese Menschen psychotherapeutische Hilfe, um das schädliche Selbststigma zu überwinden. Auch in der Behandlung der Adipositas ist es wichtig, darauf zu achten und es nicht weiter zu vertiefen”, unterstreicht Studienleiterin Prof. Dr. Anja Hilbert. In den AdipositasAmbulanzen des IFB AdipositasErkrankungen am Universitätsklinikum Leipzig wird dies durch eine psychologische Mitbetreuung der Patienten bereits in die Praxis umgesetzt.
Anders als bislang angenommen zeigte diese Studie, dass adipöse Menschen aufgrund des Selbststigmas nicht seltener, sondern häufiger zum Arzt gehen. Dies scheint auf den als schlechter wahrgenommenen Gesundheitszustand und die Annahme, dass man selbst nicht wirklich etwas verändern kann, zurückzugehen (verminderte Selbstwirksamkeit). Es gibt allerdings auch Studien, die belegen, dass die Gesundheitsversorgung stark übergewichtiger Menschen schlechter ist als die normalgewichtiger. So suchen adipöse Männer und Frauen beispielsweise seltener Vorsorgeuntersuchungen auf, da sie aufgrund ihres Gewichts Ablehnung oder Abwertung in der Behandlungspraxis befürchten.
Weitere Forschung wird zeigen müssen, ob das Selbststigma im Sinne einer “sich selbst erfüllenden Prophezeiung” zu Nachteilen in anderen Lebensbereichen, z. B. im Berufsleben, führt. Klar ist heute schon, dass Stigmatisierung von Adipositas nicht dazu beiträgt, dass die Betroffenen besser abnehmen.
>> Zur Fachveröffentlichung: Hilbert A, Braehler E, Haeuser W, Zenger M. Weight bias internalization, core self-evaluation, and health in overweight and obese persons. Obesity; doi: 10.1002/oby.20561
Das IFB AdipositasErkrankungen ist eines von acht Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, die in Deutschland vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Es ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Leipzig und des Universitätsklinikums Leipzig (AöR). Ziel der Bundesförderung ist es, Forschung und Behandlung interdisziplinär so unter einem Dach zu vernetzen, dass Ergebnisse der Forschung schneller als bisher in die Behandlung adipöser Patienten integriert werden können. Am IFB AdipositasErkrankungen gibt es derzeit über 40 Forschungsprojekte. Zur Patientenversorgung stehen eine IFB AdipositasAmbulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche zur Verfügung.