Wer glaubt, Meditation sei nur esoterischer Humbug, der irrt – und zwar ganz gewaltig. Dr. Ulrich Ott forscht seit mehr als 15 Jahren über die Wirkungsweisen von Meditation im Alltag. Studien konnten zeigen, dass Meditation neue neuronale Verknüpfungen entstehen lässt und die Struktur des Gehirns verändert. Meditation ist ein wirksames Mittel zur Stressbewältigung, dass in einem modernen BGM einen Platz haben sollte.
Beim brainLight Life Balance Day am 19. September hält Dr. Ulrich Ott einen Vortrag mit dem Titel „Achtsamkeit als zentrales Element eines modernen Gesundheitsmanagements“.
„Meditation hat mit Esoterik nichts zu tun“
Hallo Herr Dr. Ott. Ist Achtsamkeit nur eine neue Leerformel, die gut in den Zeitgeist von Yoga und veganer Ernährung passt – oder steckt wirklich Substanz dahinter?
Als Wissenschaftler kann ich sagen: Es steckt Substanz dahinter, und zwar im doppelten Sinn. Zum einen gibt es heute rund 2.800 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema Achtsamkeit bzw. englisch „mindfulness“. Zum anderen nimmt tatsächlich die graue Substanz in bestimmten Hirnregionen zu, wenn Personen ein Training in Achtsamkeit absolvieren.
Warum interessieren sich so viele Menschen plötzlich für Achtsamkeit und Meditation?
Vielen Menschen erfahren heutzutage Stress und Zeitdruck bis hin zum Burnout und suchen dementsprechend nach Möglichkeiten der Erholung. Meditation ist eine der Methoden, deren entspannende Wirkung in vielen klinischen Studien gezeigt werden konnte. Darüber hinaus wird auch die Konzentration gesteigert, und viele Menschen machen die Erfahrung, dass Meditation sie wieder mehr zu sich selbst bringt, zu ihrer inneren Mitte.
Kann man durch Meditation neue Fähigkeiten freisetzen?
Oft sind es keine neuen, sondern eher verschüttete oder brach liegende Fähigkeiten, die durch Meditation freigesetzt werden. Durch den Ausstieg aus der Hektik des Alltags wird der Blick frei und weitet sich der Horizont, so dass beispielsweise die Kreativität zunimmt oder Lösungen für Probleme auftauchen. Oft nimmt auch die Sensibilität zu, so dass man früher bemerkt, wenn einem etwas nicht gut tut und man gegensteuern kann. Und auch die Empathie den Mitmenschen gegenüber kann zunehmen.
Wie beschäftigt man sich als Wissenschaftler mit Themen wie Achtsamkeit und Meditation? Schließlich umweht die Begriffe noch immer ein Hauch von Esoterik.
In der Hirnforschung mit bildgebenden Verfahren geht es um die Messung von Effekten auf die Aktivität und Struktur des Gehirns. So gibt es zum Beispiel inzwischen mehr als zwanzig Studien, die zeigen, dass Meditierende in zahlreichen Regionen des Gehirns mehr graue und weiße Substanz aufweisen. Das sind knallharte, objektive Daten, denen kein Verdacht von Esoterik anhaftet.
Das gleiche gilt auch für die unzähligen klinischen Studien zur Wirkung von Meditation bei Störungen wie Ängsten, Depressionen, Schmerzen und auch körperlichen Erkrankungen bis hin zu Krebs. Wir haben heute recht klare Vorstellungen und Modelle, aufgrund welcher Mechanismen Meditation ihre Wirkung auf den Körper und die Psyche entfaltet. Das hat mit Esoterik nichts zu tun.
Wie kann man Achtsamkeit und Meditation für das Betriebliche Gesundheitsmanagement einsetzen?
Meditation und Achtsamkeit können Mitarbeitern als Werkzeug zum Umgang mit Stress zum Beispiel in Form eines Kurses vermittelt werden. Danach wäre es sinnvoll, einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem die Mitarbeiter ungestört regelmäßig in kleinen Gruppen oder alleine üben können. In vielen modernen Unternehmen wird das heute auch schon angeboten. Sicherlich ist das beim Wettbewerb um die besten Köpfe auch ein Pluspunkt für ein Unternehmen.
Wie könnte das zum Beispiel in der Praxis aussehen?
Weit verbreitet und vielfach als wirksam bestätigt, ist beispielsweise das Training „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ – häufig auch benannt mit der englischen Abkürzung MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction). Entsprechende Kurse werden von einigen Krankenkassen bezuschusst. Das Training geht über acht Wochen, mit einem Termin pro Woche. Qualifizierte Kursleiter für das Programm gibt es inzwischen in jeder größeren Stadt. Ein Unternehmen kann also sehr leicht so einen Kurs für die Mitarbeiter anbieten. Nähere Informationen dazu findet man auf den Webseiten der Anbieter, z.B. unter MBSR-MBCT Verband und Forum Achtsamkeit.
Lieber Herr Dr. Ott, herzlichen Dank für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen entspannten Life Balance Day mit vielen neuen Einblicken.
Das Interview führte Dr. Katja Heumader, Redakteurin HCC-Magazin.
Hinweis der Redaktion
Der Life Balance Day der Firma brainLight findet am 19. September 2015 in Aschaffenburg statt.
Über Dr. Ulrich Ott
Dr. Ulrich Ott ist Diplom-Psychologe und erforscht seit über fünfzehn Jahren an der Justus-Liebig-Universität in Gießen veränderte Bewusstseinszustände. Sein Forschungsschwerpunkt sind Effekte von Meditation und Yoga auf die Funktion und Struktur des Gehirns, die er am Bender Institute of Neuroimaging mittels Magnetresonanztomographie untersucht.